Unser Kirchentagebuch 62

Gedankensplitter

Der heutige Tagebucheintrag ist von:

Thomas Schmidt
Priester im Gallus

Dienstag, 19. Mai 2020

 

Gedankensplitter

 

  • Am Freitag an der Hauptwache: Ein junger Mann spricht mich an, um mit mir über Corona zu sprechen. Er stellt sich vor als IT-Spezialist und will mich nach einigem Hin und Her zur Anti-Corona-Demonstration am Samstag einladen. Seine Aussagen waren eine Mischung von Bedenkenswertem (ist die schwedische Vorgehensweise die angemessere?), angedeuteten Unterstellungen (dunkle Interessen der Regierung) und Nähe zu Verschwörungstheorien (Weltherrschaft von Bill Gates). Ich habe dann irgendwann das Gespräch abgebrochen und dachte an eine Grundüberzeugung der Aufklärung: „Ich bin nicht Ihrer Meinung, aber ich werde alles dafür tun, dass Sie Ihre Meinung frei äußern können.“ Gefallen als Reaktion auf manche Verschwörungstheorie hat mir übrigens die Ansage eines Zugbegleiters in einem ICE: Er sagte (frei aus meinem Gedächtnis zitiert): „Nutzen Sie auf jeden Fall ihre Maske. Die Regierung will aus ihrem Atem DNA entziehen und daraus Klone machen, um uns zu beherrschen.“
  • Die brasilianische Bischofskonferenz hat gemeinsam mit der brasilianischen Caritas eine große Kampagne gestartet: „Es ist Zeit sich zu kümmern“ (É tempo de cuidar“). Es ist ein Aufruf in allen Pfarreien und allen Gemeinschaften eine neue Solidarität mit den vom Virus betroffenen Familien zu entwickeln. Die Osterzeit sei eine Zeit der Nächstenliebe, die das Innerste des christlichen Glaubens ausmacht. Es gibt Ermutigungen, praktische Hinweise und die Hoffnung, dass so aus dieser Krise auch eine neue Solidarität erwächst. Kirche, wie ich sie mir wünsche.
  • Corona erhöht meine Lesezeit. Gerade habe ich den Roman „Am Boden des Himmels“ von Joana Osman beendet. Sehr lesenswert. Dort fand ich den schönen Satz: „Das Leben (…) will zum Ausdruck gebrachte Freude sein“. Das wünsche ich allen.

 

Bitte,
denken sie auch an die Menschen in ihrer Umgebung, die nicht über einen Internetzugang verfügen und drucken sie das Kirchentagebuch aus und werfen es ihren Nachbarn, Freunden und Bekannte bei einem kleinen Spaziergang in den Briefkasten!
Vielen Dank