Rohe Diamanten

Festpredigt zum 60jährigen Priesterjubiläum von Hans-Josef Wüst:

Lieber Jubilar Hans Josef (Padre Joao), liebe Angehörige, liebe corona-bedingt kleine Festgemeinde!

„Es ist nicht alles Gold was glänzt“, so lautete meine Predigt zu Deinem 50jährigen Jubiläum vor 10 Jahren. Es legt sich nahe, dass wir uns heute ein wenig mit Diamanten beschäftigen. 6o Jahre Priester – diamantenes Jubiläum. Aber liege ich damit nicht völlig daneben?

Im Ernst: Können Sie sich Hans-Josef mit einem Ring vorstellen, in den ein dicker Diamanten-Klunker gefasst ist? Wohl kaum!

Eine der Geschichten, die Hans Josef gerne erzählt, ist die, als er vom Priesterseminar St. Georgen in den Semesterferien nach Hause kam. Seine Mutter hatte seinen Platz am Tisch festlich geschmückt, mit weißer Damast-Tischdecke und Stoffserviette. Ich stelle mir vor, es lag auch noch das schwere Silberbesteck dabei. Er gehörte ja jetzt zu den „geistlichen Herren“. Hans-Josef warf einen Blick darauf und sagte: „Bitte Mutter, tu das nicht mehr, wenn Du willst, dass ich weiter nach Hause komme!“ Bei seiner Erzählung tat mir die Mutter schon ein klein wenig Leid! Aber Du hat sie ja geliebt und geehrt!

Später deckte er selber so festlich den Tisch, für die Obdachlosen, die er am Heiligabend in sein Wohnzimmer in Maria Hilf eingeladen hatte. Und prompt wurden ihm die Kaffeelöffel seines Primiz-Bestecks aus schwerem Silber geklaut, mit denen er den Tisch gedeckt hatte. Bereut hat er es trotzdem nicht, sondern eher mit Humor genommen.

Schlüsselgeschichten! Sie zeigen, was Dir, Hans Josef wichtig ist: Erdverbundenheit, Bodenständigkeit! Einfachheit! Aber nicht unbedingt Diamanten, die es in deiner geliebten Heimat, hier im Westerwald, gar nicht gibt.

Später hat er 13 Jahre in Brasilien gearbeitet, wo es Diamantenminen gab, in seinem geliebten Bahia, aber vor allem in Minas Gerais, nicht nur Diamantenminen, auch Gold- und Bauxitminen. Du hast uns Bilder gezeigt, die Du selbst vor langer Zeit gemacht hast, Zeugen der elenden Bedingungen, unter denen die „Mineros“ die Minenarbeiter, diese Bodenschätze ausbeuten mussten. Krankheit und Tod war an der Tagesordnung. Vorboten von dem: was sich später in Afrika abspielte: Blutdiamanten! Spätestens von da an hättest Du wohl erst recht keinen Diamantring mehr getragen, so wie Du ja auch nicht unbedingt ein Freund der neuesten Kleidermode bist!

Da ähnelst Du eher Deinem Namenspatron: Johannes dem Täufer, der uns – wie letzten Sonntag schon – auch im heutigen Evangelium begegnet. „Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft!“ Von dieser Stimme wurde uns am letzten Sonntag berichtet: “Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und lebte von Heuschecken und wildem Honig.“ Der Rufer in der Wüste! Jesus sagt von ihm: „Was habt ihr denn sehen wollen, als Ihr in die Wüste gegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die vornehm gekleidet sind und üppig leben, findet man in den Palästen der Könige.“

Sicher wäre es unangebracht, Johannes mit einem glänzenden Edelstein zu vergleichen. Kein geschliffener Diamant! Wahrlich nicht! Und doch ist an ihm etwas, was den Vergleich rechtfertigt!

Jesus fährt ja dann fort: „Oder was habt ihr sehen wollen? Einen Propheten? „Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten! Und weiter: „Unter allen Menschen gibt es keinen Größeren als Johannes“. Er ist der Vorausverkünder Jesu, von dem er in unserem heutigen Evangelium sagt: „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt!“ Das ist die große Mission des Johannes! Das macht ihn so unvergleichlich wertvoll! Das rechtfertigt den Vergleich mit einem Diamanten!

Sicher, kein fein geschliffener, glitzernder Stein, eher ein Rohdiamant, dem man nicht gleich ansieht, welchen Wert sein Inneres birgt! Der Wert eine Diamanten liegt ja nicht darin, dass er glitzert. Das tut auch billiger Tand. Sein Wert liegt vielmehr in seiner Härte, in seiner Schärfe und in seiner Beständigkeit! Das ist auch der Wert des Johannes. Diesen Wert hat er nicht davon, dass er sich aufplustert, nicht von dem, was er ist und was er hat. Seinen Wert bezieht er vielmehr von dem, der sein Inneres beseelt, von dem, worüber er deshalb auch in seiner Verkündigung spricht. Nicht auf Johannes kommt es an, auf Jesus kommt es an, auf dessen Botschaft vom Gottesreich. „Ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren, sagt Johannes.“ Sein Wert, seine Einzigartigkeit kommt ganz und gar von diesem Jesus und von dieser Botschaft, die Jesus verkündet. Johannes wird sterben, geköpft, aber dieser Name und diese Botschaft werden weiterleben, beständig wie ein Diamant.

Was ist Dein Wert, lieber Hans Josef? Abgesehen davon, dass Du vielen lieb und teuer bist? Bevor Du Deine Zelte in Frankfurt abgeschlagen hast, hast Du des Öfteren gesagt: „Ich weiß, wie alt ich bin!“ Da hast Du sicher einen besseren Durchblick und Einblick in Dich selbst gehabt, als viele, die gesagt haben: Der Hans-Josef, 85? Das glaubt man nicht! Wie fit der noch ist! Wer Dich näher kannte, wusste natürlich: einerseits stimmt das, andererseits gibt es aber auch Vieles, was Dir altersgemäß zunehmend zu schaffen machte.  Mancher, wie ich, wollte das vielleicht gar nicht genügend wahrhaben. Wie hat der große Theologe Karl Rahner am Ende seines Lebens gesagt: „Wir müssen es zugeben: Das Alter hat etwas Hässliches!“

Das gehört zum Leben: Altern, Vergehen! Was bleibt? – Was ist der bleibende Wert, das Diamantenhafte? Was bleibt, wenn wir alt werden? Als Mensch, der in Gott vertraut, wirst Du sagen: „Dass ich Gottes geliebtes Kind bin! Dass er mich bis hierin geführt hat!“ Das stimmt! Ganz sicher!

Es stimmt aber auch, dass er jeden und jede auf ganz unverwechselbar Weise liebt. Wir sind ja keine Abziehbildchen! Wir sind Originale des Schöpfers!

Was macht Dich unverwechselbar? Was macht Dich zu einem unverwechselbaren Edelstein, – zugegebenermaßen – „Roh“-Diamanten? Die Betonung liegt aus „Roh“! Was macht den inneren Kern von Dir aus? Was käme zum Vorschein, wenn man Dich schleifen würde, wie viel Karat? Was lässt sich darüber, bei allen Geheimnissen einer Peron, die für andere unaufhebbar Geheimnis bleibt, sagen?

Darüber habe ich lange nachgedacht. Klar wurde es mir, als Du mir vor einigen Tagen eine Text von Thomas Halik zukommen ließest. Wer ihn nicht kennt: Thomas Halik ist ein tschechischer Theologe arbeitete in der kommunistischen Ära als geweihter Priester in der Untergrundkirche und ist heute Professor für Philosophie und Soziologie an der Karls-Universität in Prag, Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie, Ehrendoktor der Universitäten Oxford und Erfurt. Der Titel des Textes lautet: „Die Revolution der Barmherzigkeit und eine neue Ökumene.“ Darin bezieht er sich mehrfach auf Papst Franziskus und seine Verlautbarungen. Barmherzigkeit ist ja das zentrale Anliegen dieses Papstes. Das letzte hl. Jahr, das hl. Jahr in seiner Amtszeit, hat er als Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. „Sein Name ist Barmherzigkeit“, heißt der Titel eines Buches, das der Papst herausgegeben hat und in dem ein Interview mit ihm veröffentlicht wurde und das der Vatikanspezialist Andrea Tornielli führte.

„Die Kirche ist nicht auf der Welt um zu verurteilen, sondern den Weg zubereiten für die ursprüngliche Liebe, die die Barmherzigkeit Gottes ist. Damit dies geschehen kann, müssen wir hinausgehen auf die Straße. Hinaus aus den Kirchen und Pfarrhäusern, um den Menschen dort zu begegnen, wo sie leben, wo sie leiden, wo sie hoffen,“ so das Resümee dieses Buches. Thomas Halik schreibt dazu: „ Der Papst ist kein Revolutionär, der die Kirchenlehre ändert. Menschen, die ihn seit vielen Jahrzehnten kennen, sagen von ihm: er ist nicht theologisch progressiv, aber er ist barmherzig. Das ist der Schlüssel zum Begreifen seiner Persönlichkeit und seiner Reform. Dieser Papst ändert nicht geschriebene Normen- er ändert jedoch die Praxis, das Leben. Er verwandelt die Kirche nicht von außen, sondern viel gründlicher: geistlich, von innen. Er verwandelt sie durch den Geist des Evangeliums, durch eine Revolution der Barmherzigkeit.“

Darin hast Du lieber Hans Josef, die theologischen Leitlinien deines Handelns und Deiner pastoralen Praxis wiedergefunden und auf den Nenner gebracht. Deshalb schätzt Du diesen Papst so sehr! Zu den Menschen zu gehen, dort wo sie sind, dass war und ist Dir wichtig, ob das nun in Bahia war, wo Du zur Zeit der Militärdiktatur für die Menschen eingestanden bist oder am Rio Negro, wo du wochenlang mit dem Boot unterwegs warst, um die kleinen Dörfchen fernab vom Pfarrhaus aufzusuchen, oder im Gallusviertel, wo Du nach Deiner Arbeit in einer durch viele Umbrüche nicht einfachen Pfarrei noch abends hinausgegangen bist, ins Bahnhofviertel, um in der  Teestube mitzuhelfen, die von Obdachlosen, Drogensüchtigen, Stricher und Prostituierte als Zuflucht aufgesucht wurde. Und hier im Westerwald bist du, wenn Not am Mann war, deiner Familie beigestanden, auf dem Hof, in der Bäckerei, etc. Und ein Freund in der Not warst Du und bist Du auch, für mich und für viele andere.

„Es ist wahr, dass wir uns manchmal wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer verhalten. Doch die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben.“ So sagt es der Papst. Dies war schon lange deine Überzeugung und die Richtschnur deines pastoralen Handelns, noch lange bevor der Papst dies in goldene Worte fasste.

Wichtig dabei ist, dass die Barmherzigkeit, von der der Papst spricht und von der auch Du beseelt warst und bist, nicht ein bloßes Mitgefühl meint, das nichts bewegt, nichts verändert. Sie meint vielmehr „ein Herz für die Armen“ haben, ein Herz, das sich aufrütteln lässt, umtreiben lässt und deshalb Impulse zur Veränderung aufnimmt, weitergibt und aktiv umsetzt. Barmherzigkeit gibt es nicht ohne Gerechtigkeit, ohne Veränderungsbereitschaft. Sie ist letztlich eine Eigenschaft Gottes, der gerecht und barmherzig ist, vor allem aber barmherzig.

Lieber Hans Josef, diese Barmherzigkeit Gottes, diese Barmherzigkeit Christi, hat Dich vor lange Zeit gepackt und Wohnung in deinem Herzen genommen. Wie sagt Paulus: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“. So lebt Christus, lebt seine Barmherzigkeit in dir, lieber Hans Josef, nicht, weil Du ein so toller Hecht warst, weil das alles dein Verdienst wäre, sondern weil er – dem wir, wie es dein großer Namensparton sagt, nicht würdig sind, die Schuhriemen zu öffnen – weil er dich heimgesucht und gefunden und Wohnung in dir genommen hat.

Vieles, was Du geschaffen hast, ist nicht von Dauer. Dein schönes Pfarrhaus in Vila de Abrantes, an dem Du eigenhändig mitgebaut hast. Du hast es geliebt! Es ist dahin! Irgendwann genügte es nicht mehr gewachsenen Ansprüchen. Aber die Barmherzigkeit Christi, die in Dir Wohnung genommen hat, die Werke, die dieser Barmherzigkeit entsprungen sind, die sind es, die bleiben, beständig und dauerhaft – wie ein Diamant.

Deshalb kannst Du weiter getrost deinen Weg gehen, wohl wissend, wie alt du bist – aber nicht ohne Zuversicht! Amen!

Pfarrer Rolf Glaser