Kurzpredigt zu Palmsonntag,
Pastoralreferent Rolf Müller

Eine kurze Predigt zum Palmsonntag 2021: „Du kommst auch drin vor!“

Gerade eben haben wir das große Panorama der Leidensgeschichte Jesu vorgelegt bekommen, erzählt vom ältesten Evangelisten Markus. Diese eröffnet den Horizont der kommenden Woche, wie eine Ouvertüre werden alle Themen benannt, die den Kern unseres Glaubens betreffen – denn nichts Anderes ist die Passionserzählung.

„Du kommst auch drin vor“ – so hat der der verstorbene berühmte Kabarettist Hans Dieter Hüsch einmal sein Abendprogramm überschrieben. Dieser Satz trifft auch in hervorragender Weise auf die Passionserzählung zu. Sie ist eine Erzählung des Glaubens, in der wir vorkommen, in der wir uns wiedererkennen können.

Wir kommen in zwei Sichtweisen in diesen Passionserzählungen vor. Das eine ist die Perspektive des Opfers. Im Leidensweg Jesu scheinen fast alle Facetten des menschlichen Leids auf: Der Gedemütigte, der von Schmerzen erfüllte, der Gemobbte, der Unterdrückte, der Gefolterte, der Verratene, der Verleugnete, Alleingelassene, der Schutzlose, der Ängstliche, der Verspottete, der Ausgelachte, der Einsame, der Sterbende. Wer von uns könnte sich nicht in einem dieser Begriffe wiederfinden oder denkt nicht an eine Situation, in der die eben beschriebenen Zustände einen nicht schon mal selbst getroffen haben. Es ist eine einfach unglaubliche, ja unfassbare Verbindung Gottes mit uns Menschen. Wie Jesus durch diesen Leidensweg gegangen ist – ohne Verbitterung, mit Liebe, mit Gottvertrauen – ist Anlass zur Hoffnung. Im Leiden ist uns Gott ganz nah. Er zeigt uns einen Weg nicht weg vom Leiden, aber sehr wohl durch das Leiden hindurch.

Wir kommen aber auch, und das dürfen wir nicht verschweigen, in der Perspektive des Täters vor. Im Leidensweg Jesu kommen auch diese Facetten der Täter in vielfältigster Weise vor: Der Lügner, der Verräter, der Mitläufer, der Sich aus dem Staub Machende, der Feige, Spötter, der Hämische, der Folterer, der Gewalttätige, der Mörder. Jede und jeder von uns kann sich das im Hinblick auf die Passion Jesu fragen: Wo bin ich mit dabei, wenn Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden verloren gehen? Bei mir selbst, in der Familie, im Freundeskreis, in Staat und in der Gesellschaft, ja auch in der Kirche.

Das Erleben der Karwoche und das Mitfeiern der Passion Christi kann uns zu zwei Dingen verhelfen: Es ist eine Geschichte der Hoffnung, die dann im Ostern das Wort Auferstehung bekommt. Hoffnung für alle Leidenden, Kraft und Wegweisung in der Überzeugung, dass Gott auch im Leiden ganz nahe sein kann. Und es ist eine Geschichte der Selbsterkenntnis; eine Chance der Überprüfung für mich selbst. Wie kann ich verhindern, dass Menschen leiden. Dass Menschen einsam, verlacht, gemobbt werden.

Leiden annehmen, im Leiden Gottes Nähe spüren und suchen, wie ich Leid mildern kann – das ist eine starke Ansage und Herausforderung für unsere Zeit der Krise. Die Passion ist keine Geschichte von gestern – sie ist eine für uns jetzt heute.

Der Auftakt dieser Passion heute am Palmsonntag kann wie ein Kompass für die Heilige Woche sein. Es geht von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt, von Hosianna bis zum „Kreuzige ihn“. Und mitten darin ist Jesus, der Liebende, der Demütige: Esel statt Schimmel, Sanftmut anstelle von kalter Herrscherpose. Ich lade Sie ein, sich dieser Passion Jesu in diesem Jahr der Passion der ganzen Welt durch die Corona – Krise zu stellen und aus ihr Kraft, Trost und Mut zu schöpfen. „Denn auch Du kommst drin vor.“