„Die Heiligen helfen euch nicht!“ – Predigt zu Allerheiligen 2020

Gestern brachte 3sat anlässlich des heutigen Reformationstages eine Wiederholung des Filmens „Luther“, der 2003 auf dem Weg zum Reformationsjubiläum gedreht wurde. Joseph Fiennes, in der Hauptrolle des Luther ruft in diesem Film aus: „Die Heiligen helfen euch nicht!“

Nun ist dieser Ausspruch so ungenau wie vieles andere in dieser preisgekrönten Verfilmung. Ganz abgeschafft hat Luther die Heiligen eben nicht, wie der Leibziger Kirchenhistoriker Armin Kohnle betont.  Er sagt: „Sie sind als Menschen Vorbilder dafür, wie stark man glauben und leiden kann: ‚Denn Luther betrachtet die Heiligen als von Gott besonders begnadete Menschen, und als solche darf man sie durchaus auch verehren.‘ “[i]

Luther und die anderen Reformatoren hatten aber in der Tat Schwierigkeiten damit, dass man Heilige anruft und ihre Reliquien verehrt. Luther wollte keine Instanzen, die zwischen Christus und den Gläubigen stehen. Christus ist der Mittler der Gnade, andere Mittler braucht es nicht. Auch hielt er daran fest, dass jeder Gläubige durch den Glauben an der Heiligkeit Anteil hat.

Wie aber halten wir es mit den Heiligen? Warum feiern wir heute dieses Fest – Allerheiligen?

Ich meine, dass ein zu individualisierte Sicht hier häufig die Ursache der Verstehensprobleme ist. „Ich und der liebe Gott!“ Wenn das der Ansatzpunkt ist (denken wir an die Frage des jungen Luther: wie finde ich einen gnädigen Gott), dann brauche ich in der Tat keinen Dritten, der sich in dieses Verhältnis einmischt. Gerade das Fest heute zeigt uns aber, dass es um etwas Anderes geht: Alle Heiligen? Von wem sprechen wir da eigentlich?

In der Lesung aus dem 1. Johannesbrief hieß es dazu „Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ Und dann weiter: „Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie er heilig ist. Die Gemeinschaft der Heiligen, wie wir sie im Glaubensbekenntnis bekennen, ist also eine Gemeinschaft, von der wir nicht ausgeschlossen sind! Wo wir auf Christus hoffen, wo wir etwas von ihm erhoffen, da zählen wir selbst zu dieser Gemeinschaft dazu!

Nun ist es aber so, dass die Gemeinschaft der Heiligen nicht in der Gegenwart verhaftet ist. Es gibt sie nicht nur im Hier und im Jetzt. Die „Gemeinschaft der Heiligen“ ist nicht geschichtsvergessen! Alle gehören dazu, von den Jüngerinnen und Jünger Jesu am Anfang, bis zu heutigen Tag und darüber hinaus auch alle jene, die in Zukunft noch dazu stoßen werden. Die Gemeinschaft der Heiligen ist eine Gemeinschaft über die Zeiten hinweg! Über Raum und Zeit hinweg! Was diese Gemeinschaft eint und zusammenhält, das ist die Hoffnung auf Christus und auf das, was er an uns tut und vor allem noch tun wird.

Helfen uns die Heiligen? Eine ähnliche Frage wie die Frage: Hilft Beten? Wo wir ein magisches Verständnis von Gebet haben, wo wir meinen, wir könnten von Gott etwas erzwingen, da hilft Gott nicht. Und dann hilft auch das Beten nicht. Dort, wo wir ihn zu einer Art „Automatengott“ machen. Oben stecken wir das Gebet hinein und unten kommt der gewünschte Artikel heraus. So funktioniert das nicht! Und auch die Heiligen sind keine „Automatenheilige“, die uns helfen mit Gott unseren Handel zu treiben. Und doch helfen sie uns! Sie stehen nämlich nicht zwischen uns und Christus, sondern sie stehen neben uns vor ihm. Sie stehen neben uns und beten mit uns und für uns. Sie gehören zu einer gewaltigen Gebetskette über die Zeiten hinweg.

Manchmal sagen mir Menschen, die in einer schwierigen Lebenssituation sind (eine Krankheit, ein Konflikt, Sorgen um die Angehörigen: „Bitte beten Sie für mich!“ Ja, wir Menschen können füreinander einstehen! Wir können auch füreinander beten! Wir komischen Heiligen heute können füreinander beten. Und wir können es nicht nur im Hier und Heute. Zu allen Zeiten haben Menschen immer auch für die Zukunft der Kirche gebetet und durch ihr Leben aus dem Glauben diese Zukunft mitbereiten helfen. Wenn wir unsere Antennen, unsere Sensoren ausfahren, wenn wir tief in uns hineinlauschen, dann hören wir das große Raunen, das Gebet der Heilige aller Zeiten. Sie machen uns Mut, wenn es schwierig wird, dann, wenn wir in unserer Situation so gefangen sind, dass wir keine Worte zu finden scheinen. Dann, wenn wir nicht einmal mehr beten können! Dann geben sie uns ihre Stimme und leihen uns ihr Gebet. Sie stehen für uns ein! Nicht vor uns, aber neben uns, als unsere Schwestern und Brüder im Glauben. Übrigens: dazu gehören auch all die ungezählten, namenlose Heiligen, solche, die wir gekannt haben, die vielleicht für unser eigenes glaubensleben wichtig waren und solche, die heute niemand mehr kennt. Sie vor allem ehren wir – an Allerheiligen! Amen!

Rolf Glaser

[i] Quelle:Katrin Knabe, mdr.aktuell v. 18. 01 18