Das Wochenwort 51

Erste Schritte zum „echten Leben“

 

 

Das heutige Wochenwort kommtt von:
Rolf Müller, Pastoralreferent

 

Sonntag, 30. Mai 2021

 

„Ich war in einem Restaurant gewesen!“ – so hat es mir eine Frau letzte Woche ganz begeistert erzählt; „das hat so gut getan!“ Ihre begeisterte Geschichte reiht sich ein in die vielen Zeichen der Entspannung, die ich wahrnehme: Der fallende Inzidenzwert, immer mehr Geimpfte und Genesene, lockere Regeln in den Städten und in den Geschäften. Ich und viele andere hoffen, dass das Licht am Ende des Tunnels immer größer wird.

„Zurück ins echte Leben?“, so hat es dazu passend die Zeitschrift „Die Zeit“ in ihrer letzten Ausgabe betitelt. An diesem Titel fand ich besonders das Fragezeichen am Ende der Überschrift gut. Denn ich frage mich: Was ist das „echte“ Leben? Natürlich ahne ich, was die Autor*innen in der Zeitung wohl gemeint haben könnten. Da geht es um die Dinge, die uns vor der Pandemie so vertraut waren: Das Treffen mit vielen Menschen, die Nähe zu anderen Menschen und vieles andere mehr. Darauf freue ich mich auch. Aber ich denke mir, dass die letzten anderthalb Jahre auch „echtes“ Leben waren. Denn zum echten Leben gehören für mich Zeiten der Krise dazu. Krankheit, Schwachheit, Sorgen um die Gesundheit und der Umgang mit Trauer sind ein Teil davon. Ein Zurück zum „echten Leben“ kann und wird nicht bedeuten, nur die Sonnenseiten des Lebens wiederzuhaben. Die Welt nach der Pandemie wird kein Paradies sein.

Im Christentum ist die Erfahrung von Leid ein Teil des echten Lebens. Jesus ist selbst ist in besonderer Weise den Kranken und Ausgesetzten begegnet und ist seinen Leidensweg gegangen. Er hat uns Wege aufgezeigt, wie man in dieser nichtparadiesischen Welt leben soll. Dazu gehören Aufmerksamkeit, Barmherzigkeit, Sorge um die Schwachen genauso dazu wie das beständige Eintreten für eine bessere Welt an der Seite der Armen. Vieles genau davon habe ich in der Zeit der Pandemie erleben dürfen: Zeichen der Barmherzigkeit, zum Beispiel das Sonntagmittagesssen Woche für Woche am Josefshaus in Griesheim. Die Aktionen zu Misereor und Renovabis in unseren Gemeinden, die auch in der Krisenzeit deutlich gemacht haben, dass nur mehr Gerechtigkeit und ein verantworteter Umgang mit der Schöpfung zu einer lebenswerten Welt führen können. Oft habe ich auch Menschen in unseren Gemeinden gesehen, die sich – manchmal ganz im Verborgenen – um andere gekümmert haben; und sei es nur durch einen persönlichen Anruf oder einen handgeschriebenen Brief.

Dieses Handeln gehört für mich zum echten Leben genauso dazu wie all die Freiheiten, die wir hoffentlich bald wiedererlangen werden. Wer so handelt, der ist im wirklich echten Leben mit all seinen Höhen und Tiefen immer auf einem guten Weg. Ich glaube, in diesem Handeln ist der Geist Gottes spürbar, der dafür steht, was Jesus uns heute im Evangelium zum Dreifaltigkeitsfest mitgibt: „Seht ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ (Mt 28, 20)