Ausstellungseröffnung zum 150. Geburtstag von K.Holstein

Am Sonntag, dem 31. März 2019, nach dem Gottesdienst, fand im Josefshaus eine kleine Vernissage anlässlich des 150. Geburtstages des Bildhauers Karl Holstein statt. Karl Holstein wurde am 29. Januar 1869 in Ravensburg geboren und starb am 1.11. 1952 in einem Altersheim in Bad Soden.

———————————————————– Vorgeschichte ——————————————————–

Bereits am 25. November 2018 fand – in Rahmen unseres Weihnachtsbasares – eine kleine Austellung hierzu statt:

Eine Besonderheit war im Foyer aufgebaut. Es handelte sich hierbei um eine Krippe des Künstlers Karl Holstein, der früher in Griesheim lebte und viele Kunstwerke für unsere Kirche anfertigte, so z. B. unseren Josef, der lange Zeit das Josefshaus in der Hartmannsweiler Str. 71 zierte und nun einen würdigen Platz an unserem neuen Josefshaus gefunden hatte. Die Krippe war lange Zeit in privatem Besitz und wurde nun wieder der Gemeinde übergeben.

Soweit der Bericht auf unserer Homepage vom 25. November 2018.

Hier nun zunächst der Artikel aus unserem Weihnachtsruf 2018:

Vor einigen Wochen rief uns die in Griesheim geborene Reinhilde Küsper, geb. Gruber aus dem Schwarzwald an: Sie hätte geschnitzte Krippenfiguren, die der Griesheimer Künstler Karl Holstein einst für ihre Familie geschnitzt hätte. Wenn ihr Bruder Franz-Georg, der nun in Kolumbien lebt, sie nicht haben wolle, sollten sie doch an ihrem Entstehungsort bleiben, nämlich in unserer Gemeinde, in der noch viele Werke des Künstlers existieren.

So gibt es z. B. die Josefsstatue, die er aus Muschelkalk herausgehauen hat, die von 1926 an der Hausfassade des alten Josefshauses angebracht war und seit 1985 im Hof des neuen Josefshauses steht. Und dann kam die Überraschung: Es klingelte bei uns und Franz-Georg Gruber, er war auf Heimatbesuch, stand mit diesen Krippenfiguren vor der Tür: Er wolle sie der Gemeinde übereignen.Nun stand der Karton da und wir interessierten uns plötzlich für diesen Herrn Holstein. Wir entdeckten in der Festschrift zur Einweihung des neuen Josefshauses von 1985 einen Artikel, den Carl Gruber über diesen Bildhauer veröffentlicht hatte. Er schrieb damals:

„Es war Ende der zwanziger Jahre, ich war noch jung und lernte Karl Holstein in seinem kleinen Atelier in der Alten Falterstrasse 29 kennen. Ich hatte Freude an seiner Arbeit und interessierte mich für die Werke, die er mit Stemmeisen, Schnitzmesser und Holzbeitel schuf. Damals arbeitete er gerade an zwei Engelsfiguren, die eine fromme Stifterin für die Kirche schnitzen ließ. Diese mannshohen Engel sollten auf beiden Seiten der Kommunionbank Aufstellung finden. Meister Holstein war ein aufrechter Mann, groß, von vornehmer Zurückhaltung. Wenn man sich mit ihm unterhielt. begleiteten seine großen Augen das Gespräch und redeten förmlich mit. Dazu kamen seine oberschwäbische Art und Sprache, die eine Begegnung mit ihm unvergessen machten.So erzählte er gern von seinem Aufenthalt in Paris, wo er längere Zeit arbeitete, von all den kleinen und großen Erlebnissen in der Zeit seiner Wanderjahre. Griesheim wurde zu seiner Wahlheimat, nachdem Pfarrer Link ihn hierher holte, um an der neu zu erbauenden Marienkirche als Steinmetz und Bildhauer zur Zierde der Kirche beizutragen.“

Bei einem schweren Fliegerangriff am 23. März 1944 ging sein Atelier und Wohnhaus in Flammen auf.  Zu seinem 80. Geburtstag erschien 1949 in der Neuen Presse ein Artikel über ihn:

„Zwischen Mauerresten, Trümmern und Schutt befindet sich im Hinterhof der Falterstrasse 29 die Werkstätte eines Bildhauers. Der Krieg hat ihm sein Heim, einen Teil seiner Werkstatt und Werkzeug genommen, aber nicht seine Arbeitslust, seinen Fleiß und seien Humor.In seiner Werkstätte kann er sich kaum umdrehen, so eng ist es hier. Aber sein Herz ist weit und sein schöner Beruf macht ihm heute noch Freude. Leider ist es aber nicht nur die Liebe zu seiner Arbeit, die ihm Schnitzeisen und Knüp-pel in die runzlige Hand drückt, sondern auch die Sorge ums tägliche Brot, die ihm niemand bis jetzt abnehmen konnte.“ Er bezahlte unter anderem den Arzt mit Schnitzereien. So befinden sich noch vielerlei Weihnachtskrippen. Heiligenfiguren, Reliefs und andere figürliche Schnitz- und Steinarbeiten wie auch Grabmale im Besitz von Familien. Andenken an einen Mann, der selbstlos und bescheiden seinen schönen künstlerischen Beruf lebte. Ausgebombt fand Karl Holstein sein letztes Zuhause im Altersheim Bad Soden, wo er im Alter von 83 Jahren verstarb. Fast alle Bildhauerarbeiten stammen von ihm:

  • Am Hochaltar:
    Die vier Evangelisten
  • die vier Säulenheiligen:
    Mutter Anna mit Maria, St. Josef und Maria mit Kind Jesu(letztere jetzt als rechter Seitenaltar), Petrus, Paulus.
  • Im linken Seitenschiff:
    eine Pieta
  • über den drei Portalen die Tympana (Giebelfelder) aus Sandstein
    linkes Portal: die Bekehrung des Paulus
    Hauptportal: die Heilige Familie
    Rechtes Portal: die Berufung des Heiligen Petrus.

Auch unsere großfigürliche Bauernkrippe ist von Ihm.Außerdem ist das Portal der Josefskirche in Eschersheim sein Werk. Seine Plastiken findet man in Kirchen von Höchst, Fockenhausen, Bremthal, Osterspey, Neiderlahnstein, Wittlig an der Mosel, Moorbach im Hunsrück, Augsburg, Ravensburg und vielen Orten am Bodensee. Vielleicht haben wir Ihr Interesse geweckt, sich seine Arbeiten in unserer Kirche anzuschauen. Die heimgekehrten Krippenfiguren werden wir im Advent im Josefshaus aufstellen.
Am 29.01.2019 wäre Karl Holstein 150 Jahre alt geworden.

Hiltrud und Michael Fuhrmann

——————————— Ausstellungseröffnung 31. März 2019 ——————————————

Jetzt aber zu unserer heutigen Ausstellungseröffnung: Sie umfasste neben den beiden – oben schon genannten Engeln – eine Vitrine, in der sich das Original der Pressemeldung vom 29. Januar 1949 befand. Darunter die Bilder von den Heiligenfiguren, die Holstein für unsere Kirche erstellt hatte; ebenso die Bilder von den Typana.

Zunächst begrüßte G. Waigand, seines Zeichens Archivar unserer Gemeinde die Anwesenden und erläuterte kurz den Umfang der kleinen Ausstellung mit dem Hinweis, dass weitere Stücke später ausgetauscht würden. Nun übergab er das Wort an unseren Pastoralreferenten Rolf Müller, der eine geschichtliche Einordnung des Künstlers und seines Werkes in die damalige Zeit vornahm. Dies war – wie immer – sehr unterhaltsam und interessant.

Im langen 19. Jahrhundert (von der Französischen Revolution 1789 bis Ende des Ersten Weltkrieges 2018) entwickelte die Kirche ein eigenes Selbstverständnis. Wesentlicher Punkt dieses Selbstverständnisses ist die Abgrenzung zur Moderne, die der Kirche durch Aufklärung und später dann durch Industrialisierung das Leben schwer machte. Statt Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit galt nun  Wahrheit – Hierachie – Abgrenzung. Hierzu gehörten die Marienverehrung, der Rosenkranz und das Wallfahrtswesen genauso wie das Unfehlbarkeitsdogma.

Es entstand die societas perfecta als Gegenentwurf zur Moderne, die alles bot was zwischen Leben und Sterben notwendig erschien, einschließlich Jungfrauenvereine und katholische Sportvereine.

Das Mittelalter wurde auf der Suche nach Vorbildern in der Vergangenheit als Ideal hervorgehoben. Kirchen und deren Ausstattung im ausgehenden 19. Jahrhundert entsprachen dieser Denkweise, der sich auch ein Künstler wie Karl Holstein unterwarf. Es entstanden neugotische Kirchen, deren Ausstattung den Geist der societas perfecta atmeten, so z. B. unsere Engel, die fast überlebensgroß die Erhabenheit Gottes darstellen.

Die Wirklichkeit sah weniger erhaben aus: bedingt durch die Industialiserung und der damit verbundenen Verarmung weiter ländlicher Gebiete führten zu Problemen, für die das noch recht junge Bistum Limburg eine Antwort finden musste. Dazu trugen auch die Werke Karl Holsteins bei. Im sogenannten marianischen Jahrhundert (von 1850 bis 1954) galt die Devise: von Maria nie genug. Die Marienverehrung führte dann auch zu einer Vielzahl von Figuren in unserer Kirche, und das nicht nur, weil unsere Kirche Mariä Himmelfahrt heißt. Maria als Idealbild des christlichen Lebens, die die Familie zusammenhält.

Nun erläuterte Rolf Müller die einzelnen Ausstellungsstücke und stellte sie in den zuvor beschriebenen Kontext: Kirche als Stadt auf dem Berg, an dem das Böse der modernen Gesellschaft abprallt.

 

Am Ende seiner Ausführungen bedankte sich unser Pfarrer Rolf Glaser für den Vortrag und bei G. Waigand für das Zusammentragen der Ausstellungsgegenstände.

Im Anhang finden sie den Vortrag als pdf zum Nachlesen. Bitte beachten Sie, dass das Kopieren, auch einzelner Stellen, nicht ohne Genehmigung seitens des Pastoralreferenten Rolf Müller erlaubt ist.

Vortrag von PR Rolf Müller

Reliefplastiken an Kirchenportalen

 

 

 

 

 

 

 

Orignaltext der Frankfurter Neuen Presse vom 29. Januar 1949

Pieta von Karl Holstein (1924)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heiliger Josef von Karl Holstein in Muschelkalk
(ca. 1926)