Unser Kirchentagebuch 49

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

Der heutige Tagebucheintrag ist von:
Verena Nitzling
Gemeindereferentin

Mittwoch, 6. Mai 2020

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich weiß nicht, wie es Ihnen in den letzten Tagen ergangen ist.

Entscheidungen der Politik zur Lockerung einzelner Bereiche werden in den sozialen Medien heftig diskutiert und machen mich persönlich zunehmend wütend.

Ja, ich spüre viel Ärger, Wut, Ungeduld in den Menschen. In mir ist jedoch eine andere Wut. Wut und Ärger über dieses egoistische Verhalten und die vielen Vorwürfe. Werden keine Maßnahmen ergriffen, oder die Pandemie herunter gespielt werden die Stimmen laut: Menschen sterben, weil nichts getan wurde. Wird die Krise ernst genommen, werden Maßnahmen ergriffen um die Ausbreitung zu verlangsamen werden die Stimmen laut: Menschen werden in ihrer Freiheit eingeschränkt, es gibt genug freie Intensivbetten in den Krankenhäusern. Es geht doch schließlich um die Sicherheit und die Gesundheit von uns allen. Die eigene Verantwortung sollte im Vordergrund stehen. Ich kann, muss aber nicht diese Lockerungen für mich persönlich in Anspruch nehmen. Aber warum müssen die Menschen jeden einzelnen Schritt so negativ werten.

Die Frage rund um die Öffnung der Kitas und Schulen, ja sie bewegt mich auch und ich weiß, wie viel Ihnen, liebe Familien derzeit abverlangt wird.

Keiner von uns hat sich diese Krise ausgesucht. Keiner hat im Februar daran geglaubt, dass es so weit mit der Corona – Krise kommen kann. Derzeit zeigt sich, was aushalten wirklich heißt.

Ich persönlich glaube, dass die Menschen, die derzeit wild mit ihren Worten und Vorwürfen um sich werfen, noch nie in einer persönlichen Krise gesteckt haben. Eigene Not, Leid noch nie am eigenen Leib erfahren haben.

Ich denke in diesen Tagen an die Menschen, die ihren Arbeitsplatz durch die Krise bereits verloren haben oder in der Angst leben, dass sie darum fürchten.

Ich denke an die vielen, vielen Menschen auf dieser Erde, denen es nicht so gut geht wie uns.

Was würden all diese Menschen sagen, wenn sie eingesperrt wie z.B. in Frankreich leben würden oder sogar in Indien in einer Hütte.

Die Menschen auf den Intensivstationen, in den Krankenhäusern, ihre Angehörigen, die Ärzte und das Personal kämpfen um das Leben der Menschen und haben nur den Wunsch nach Gesundheit!

Wie kann man sich in solchen Situationen darüber aufregen, ob man z.B. im Zoo nun Mundschutz tragen muss.

Es macht mich traurig, dass das wertvolle Leben, welches Gott uns schenkt auf solche, meiner Meinung nach, völlig unwichtigen Dinge reduziert wird.

Freiheit wird gefordert. Ich glaube, vielen Menschen ist nicht klar, wie viel für uns hier in Deutschland in den letzten Wochen noch möglich ist. Ich darf nach draußen gehen, darf die Sonne und die Natur genießen, bin nicht eingesperrt in meiner Wohnung.

Ich bekomme bei Bedarf medizinische Unterstützung und habe technische Möglichkeiten, um mit meinen Freunden, meiner Familie, meinen Arbeitskollegen im Kontakt bleiben zu können.

Natürlich würde ich mich auch freuen, wenn das Vereinsbad, in dem ich schwimme öffnen darf. Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich meine Oma besuchen darf – sie ist 90 Jahre alt und ich verzichte derzeit darauf, um das Risiko nicht einzugehen.

Natürlich würde ich mich freuen, mit Freunden im Garten zu sitzen.

Natürlich würde ich mich freuen, mein herzkrankes Patenkind zu treffen.

All das geht gerade nicht – doch, all das halten wir gemeinsam aus.

Und diese Solidarität, diese Geduld fehlt mir derzeit immer wieder, vor allem in den Kommentaren der sozialen Medien.

Gott ist in diesen Tagen an meiner Seite, ihm kann ich meine Bitten, meinen Dank, meine Klage zu-muten.

Zum Schluss habe ich den Begriff der Freiheit für Sie buchstabiert – Freiheit in den Tagen der Coronakrise bedeutet für mich:

 

F             reude an den kleinen Dingen
R            aus gehen und die Natur genießen
E             mpathie zeigen
I              mpfstoff braucht Zeit
H            eute, nicht gestern und nicht morgen
E             infach leben
I              st – Zustand annehmen
T             eilen

Bleiben Sie gesund,
Ihre Verena Nitzling

Bitte,
denken sie auch an die Menschen in ihrer Umgebung, die nicht über einen Internetzugang verfügen und drucken sie das Kirchentagebuch aus und werfen es ihren Nachbarn, Freunden und Bekannte bei einem kleinen Spaziergang in den Briefkasten!
Vielen Dank

3 Gedanken zu „Unser Kirchentagebuch 49

  1. Nach dem heutigen Tag der unglaublichen Lockerungen finde ich den Beitrag noch besser als ich ihn sowieso schon fand! Hoffentlich lesen das viele Menschen!

    1. Danke Dir, liebe Katinka. Ich habe heute viele Kommentare zu meinem Beitrag per E-Mail bekommen. Ehrlich gesagt habe ich damit nicht gerechnet. Aber ich habe einigen Menschen aus der Seele geschrieben. Da bin ich mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht alleine unterwegs, das fand ich persönlich heute sehr beruhigend und zuversichtlich. Bleib gesund, Verena

  2. Ich finde du hast genau das wieder gegeben was auch mir am Herzen liegt… und geht es hier GUT. Deshalb verzichten wir doch freiwillig auf etwas um dadurch andere zu schützen und diese Krise gemeinsam zu überstehen ??

Kommentare sind geschlossen.