Unser Kirchentagebuch 46

Wer sich nicht tanzend und spielend …

 

Sonntag, der 3. Mai 2020

Tagebucheintrag von Ralf Albensoeder
Pastoralreferent in St. Markus

 

„Wer sich nicht tanzend und spielend durch Bilder bewegt, wird an einem von ihnen hängenbleiben, um damit die Mitmenschen zu erschlagen.“ Dieser Spruch fällt mir oft ein, wenn ich die Gleichnisse Jesu höre, eben auch im heutigen Sonntagsevangelium (Joh 10,1-10).

Christus, der gute Hirt, ein bekanntes Bild –

Ich möchte sie einladen, sich auf das Bild, das Jesus hier zeichnet, einzulassen und der Phantasie einmal Raum zu geben. Tauchen sie ein in das Gleichnis:

Jeden Tag müssen wir erneut heraus aus dem Stall. So ist es nun einmal. Und jetzt erleben wir sehr traurige Zeiten, gleichgültig, ob wir rausgehen oder zu Hause bleiben.

Tod, Krankheit, Einsamkeit, die Gedanken daran werden mich einholen oder haben mich in diesen Tagen auch ohne Corona vielleicht schon längst befallen. Wir können auch Positives erleben – neue Formen der Solidarität, Kreativität innerhalb und außerhalb der Kirche…

Hinter einem Hügel ist neues Land – schöner oder hässlicher –, wie auch immer, es erwartet uns Neues – aber ich kann in der Gewißheit leben, dass ich in Christus einen Hirten habe, dass ich nicht allein mit meinem Leben bleibe – aber auch, daß ich in einer „Herde“ leben darf, nicht Herde im Sinne von stumpfsinnig hintereinander her trabend, sondern Gemeinschaft – ich kann mit den anderen die neue Wiese betrachten, meine Fragen stellen und auf Antworten hoffen – ich darf sie auch einfordern.

Ein anderes entdecke ich in dem Bild. Das Leben stellt auch Anforderungen – eben neue Wiesen zu entdecken, auch die, die ich mir nicht ausgesucht habe. Dass ich Entscheidungen treffen und Antworten auf Fragen finden muss, die mir bisher unbekannt waren.

Der Kirchenraum ist manchmal gemütlich wie ein Stall – aber inner- und außerhalb gibt es eine Menge Fragen und auch Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden, auch in der Kirche, man denke nur an den notwendigen „Synodalen Weg“.

Herde des Hirten Jesus zu sein heißt, sich auf den Weg machen, hinausgehen aus dem Stall – aus der Kirche als Gebäude, und Kirche in Bewegung zu sein, Volk Gottes unterwegs. Das ist das zweite Bild: Ich bin auf dem Weg durch die Tür hinaus.

Das Evangelium in die heutige Zeit übersetzen kann ich nur, wenn ich die Welt außerhalb des Schafstalls kenne.

Nur dann entdecke ich die Fragen der Menschen – die Frage nach dem Warum des Leids – die Frage nach dem, was Hoffnung schenken kann in Trauer, Einsamkeit und Angst.

Aber ich brauche auch den Stall. Den Ort Heimat, den Stallgeruch.

Mit Christus leben heißt, nicht nur im Stall bleiben, denn Christus führt uns hinaus, er stellt unsere Füße in weiten Raum (vergl. Ps 31,9), aber er führt auch wieder in den Stall zurück.

Deshalb freue ich mich riesig, dass wir wieder Gottesdienste feiern können. Ich brauche Identität, Gemeinschaft, die Erfahrung der Nähe Gottes in den Sakramenten.

 

Eine Bitte:
Nicht alle unsere Gemeindemitglieder haben die Möglichkeit, unser Tagebuch online zu verfolgen. Falls Sie jemanden kennen, der nicht im Internet ist: Drucken Sie den Text aus und bringen sie ihn (vielleicht bei einem Spaziergang?) vorbei.
Vielen Dank!