Sonntagspredigt
vom 3. Mai 2020

Wer ist ein guter Hirte? Predigt am 4. Ostersonntag 2020 (32./3. Mai)

Wer ist ein guter Hirte? Der Hirte seines Volkes, das war im alten Orient der König. Abgeleitet waren es auch die politischen und religiösen Führer.

Das Alte Testament erzählt uns von den schlechten Hirten! – So heißt es etwa beim Propheten Ezechiel: „Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden. Müssen die Hirten  nicht die Herde weiden?  Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für die Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt  ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht und die starken misshandelt ihr.

Wir sahen in die letzten Wochen  ganze Gesellschaften und ihre Politiker im Ausnahmezustand. Was für Hirten waren sie und sind sie? Ich muss sagen, ich bin froh in einem Land zu leben, in dem ich den Eindruck habe: Wir hatten und haben Regierungen in Bund und Ländern, die sich in dieser Krise um das Gemeinwohl und das Wohl den Menschen mühen. Es ist schon zu  erspüren, dass auch ihnen die Krise an die physische und psychische Substanz geht; egal ob das nun die Kanzlerin oder der Finanzminister oder sonst einer der führenden Minister und Ministerpräsidenten ist.  Das gilt selbst für die mit einem starken Ego!

Das heißt sicher nicht, dass sie immer alles richtig machen. – Es wird die Zeit kommen, in denen auch eine Fehleranalyse gemacht wird und auch Fehler festgestellt werden müssen. Aber im Ernst: Wer macht schon immer alles richtig?

Ich bin jedenfalls froh, dass ich nicht unter der Knute von Donald Trump oder dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro oder des türkischen Präsidenten Redzep Tayyip Erdogan und andern Populisten und Autokraten leben muss.

Es gilt das goldene Wort von Bischof Kamphaus. „Den einen geht es um die Wolle, den anderen um das Fleisch, wer aber kümmert sich um die Schafe?“ Eine Frage, die auch in den gegenwärtigen Zielkonflikt hineinführt: Schützen wir die Gesundheit oder schützen wir die Wirtschaft? Hier gibt es kein einfache entweder- oder? Alles hängt mit allem zusammen und es bedarf einer klugen Abwägung. Das macht es nicht einfach. Aber wichtig bleibt das Kriterium: es geht um die Schafe und nicht nur um ihre Wolle oder um ihr Fleisch. Anders ausgedrückt: Es geht um den ganzen Menschen! Es geht um die Menschen mit Leib und Seele! Und da ist vieles wichtig!

Gesundheit ist ein hohes Gut! Sie soll, so gut es geht, geschützt werden, auch durch die nötige Eigenverantwortung! Aber ich gebe Wolfgang Schäuble Recht, mit dem ich nicht immer einer Meinung bin: Gesundheit ist nicht das einzige, noch nicht einmal das höchste Gut. Das höchste Gut ist – auch nach unserem Grundgesetz – die Menschenwürde; für die Gesundheit ein entscheidender, aber eben nicht der einzige Faktor!

Und hier kommen auch Kirche und Gottesdienst ins Spiel. Ich denke, für gläubige Menschen hat Gottesdienst eine Systemrelevanz und da sie – immer noch -ein wichtiger Faktor in der Gesellschaft sind, sollte er diese Bedeutung auch für die ganze Gesellschaft haben. Ich habe mich schon gewundert, wie wenig das in den letzten Wochen von verantwortlichen Politiker angesprochen und auch von religiösen Führern betont wurde! Gott sei Dank haben sich die Medien dieser Frage sehr stark angenommen. So gottlos, wie manche denken, scheinen sie doch nicht zu sein!

Bin ich in dieser Situation, für meinen Verantwortungsbereich ein guter Hirte? Das habe ich mich in den letzten Tagen selbst gefragt. Immerhin setze ich, wenn wir hier zusammenkommen, die Gemeindemitglieder, besonders die aus den einschlägigen Gruppen, einem Restrisiko aus – bei allen Vorsichtsmaßnahmen! Ich habe dieser Tage mit mehreren älteren Gemeindemitgliedern gesprochen und sie haben mir sinngemäß gesagt: Herr Pfarrer, ich habe doch mein Leben gelebt und ich möchte es jetzt in Würde weiterleben. Der Gottesdienst gehört für mich dazu! Ich komme nicht aus einem äußeren Pflichtgefühl.  Ich brauche das!“ Warum sollte ich sie bevormunden? Dabei gilt gleichzeitig: Jede Erkrankung ist eine Erkrankung zu viel! Wir wollen sie nach Möglichkeit verhindern. Und doch gilt ebenso: Die Alternative kann nicht sein, das Leben einzustellen. Angst darf nicht dazu führen, dass wir da Atmen einstellen – auch nicht den „Atem der Seele“. Das Leben bietet immer ein Risiko! Und doch will es gelebt werden!

Wer ist ein guter Hirte? Jesu hat einmal gesagt. „Warum nennst Du mich gut? Nur einer ist gut, unser Vater im Himmel!“ Doch Gleiches gilt durch des Vaters Vollmacht  gleichermaßen vom Gekreuzigten und Auferstanden. „Durch seine Wunden seid ihr geheilt. Denn ihr hattet euch verirrt wie Schafe, jetzt aber seid ihr heimgekehrt zum Hirt und Bischof eurer Seelen. (1, Petr 2,24b.25)

Deshalb sind wir heute hier, wenn auch mit Mundschutz und vielen Einschränkungen: Um uns in diesem Glauben festzumachen und miteinander und gegenseitig zu stärken – nicht nur virtuell, nein,  real spürbar! Amen!

Rolf Glaser