Predigt Pfr. Glaser zu
Fronleichnam 2020

Bedürfnis nach Himmelsbrot. Fronleichnamspredigt

Liebe Schwestern und Brüder,

kennen Sie die „Maslov’sche Pyramide“? Sie hat mit Ägypten nichts zu tun. Sie ist ein Modell in der Sozialpsychologie und richtiger heißt sie auch „Maslov’sche Bedürfnispyramide“, nach der Theorie von Abraham Maslov so benannt. Diese Pyramide stellt dar, wie sich verschiedene Bedürfnisse des Menschen zueinander verhalten. Sie erheben sich pyramidenartig übereinander.

Die unterste und breiteste Bedürfnisebene bilden die „Existenzbedürfnisse“, zu denen wieder die „Grundbedürfnisse“ gehören: Atmung, Wasser, Nahrung, Schlaf, Fortpflanzung, ein „Dach über   dem Kopf“. Vor allem sie habe der Staat sicherzustellen, ist die weitverbreitete Ansicht.

„Was ist lebensnotwendig?“ das ist dabei die Leitfrage. Was brauchen wir zum Leben? Solange Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, beherrschten sie unseren Antrieb und unser Begehren. Sie vor allem habe der Staat, habe die Ökonomie, habe die Entwicklungspolitik sicherzustellen. „Erst kommt das Essen, dann kommt die Moral“, so hat es Berthold Brecht in seiner Dreigroschenoper gesagt. Um moralisch handeln zu können, muss der Mensch erst einmal genug zu essen haben. Gesundheit, ebenso wichtig! Was es bedeutet, Gesundheit zu schützen, haben wir in den zurückliegenden Wochen und Monaten erlebt und erleben es immer noch. Fast alles andere wird zweitrangig – vom Essen einmal abgesehen. Immerhin, einkaufen durften wir noch! Das tägliche Brot schien zunächst in Gefahr – was zu Hamsterkäufen führte – gab es aber dann doch genug, so dass den Grundbedürfnissen vorerst genüge getan war. Bleibt noch die Sorge um den Broterwerb, die durch die ökonomische Krise, an deren Anfang wir erst stehen, uns vorerst weiter begleiten wird. Und bedenken wir die weltweite Not, in die Menschen durch diese Krise neu gestürzt werden! Insofern war und ist es sicher richtig, sich um diese Grundbedürfnisse zu sorgen.

Ansonsten kam vieles zum Erliegen. Insbesondere wir Kirchen fühlten uns wie abgeschaltet. Wir ließen uns vielleicht auch allzu schnell abschalten! Wir waren von einem Tag zum anderen nicht mehr wichtig, bedienten wir doch andere Bedürfnisse, keine „Grundbedürfnisse“. Oder?

Das verkennt natürlich, dass es das caritative Handeln der Kirche auch in der Krise nach wie vor gab. Auch der Kirche sind Grundbedürfnisse wichtig! Sie überlässt diese Frage nicht einfach andern.

Und doch geht der Kirchliche Auftrag über Sozialarbeit und Moral hinaus.

Es geht um das Brot! Aber eben nicht nur um das Allerweltsbrot, das wir beim Bäcker kaufen können, sondern um das Himmelsbrot, von dem Jesus heute im Evangelium spricht. Er stellt seine eigene Person im Bild des Brotes vor. Damit will er sagen. Ich und die Botschaft für die ich stehe – das ist genauso wichtig wie das tägliche Brot: „ mit ihm ist es nicht wie mit dem Brot, das die Väter gegessen haben, sie sind gestorben“. Es ist lebenswichtig! Essen und Trinken das müssen alle Lebewesen, müssen auch die Tiere. Das ist es nicht, was den Menschen zum Menschen macht. Was den Menschen zum Menschen macht, das sind andere Bedürfnisse. Es ist sein Hunger nach Liebe, nach Nähe, nach Gemeinschaft, im letzten sein Hunger nach Gott. Jesus hält die Nahrung bereit, die diesen Hunger stillt. Und nur er kann die Nahrung anbieten, die das vermag: „Wer von diesem Brot ist, wird leben in Ewigkeit.“

Wer diese Nahrung kostet, der wird selbst in dieses Himmelsbrot einverleibt. „Wer meine Fleisch ist und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“. Ja, wer dieses Himmelsbrot kostet, der wird selbst „Brotmensch“, der wird zur Nahrung für andere. „Ein Brot ist es“, ruft Paulus in der Lesung aus. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir haben teil an dem einen Brot.“

Brotmensch ist man als Teil des Brotleibes, der die Kirche ist. Und diesen Leib könne Christen letztlich nur real genießen, nicht nur virtuell und können ihn auch nur real sein, nicht nur virtuell. So schön Bilder davon sind – in der Notzeit des sogenannten „shut down“ bzw. „lockdown“ waren wir froh wenigstens Bilder davon zu haben – die Bilder ersetzen nicht die Teilhabe.  Bilder ersetzen nicht das reale Leben! Es ist wie mit einem Stillleben alter Meister. Ein Korb voller Früchte, herrlich anzusehen! Eine Augenweite! Aber Essen kann man sie eben nicht!

Das Leben will gelebt werden! Auch das Glaubensleben! Miteinander! Dafür steht Jesus!

„Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben“. Erst diese Fülle kann menschlichen Hunger wirklich satt machen. Erst wenn das Bedürfnis nach dieser Fülle gestillt ist, sind die Bedürfnisse gestillt, die nur Menschen haben können. Dass sagen und bezeugen uns oft gerade die Menschen, die oft noch nicht mal das Bedürfnis nach dem täglichen Brot stillen können. Die sozialen Beziehungen in Form des Aufgenommen-Werdens und Verbleibens in einer Gruppe, Familie oder Stammesgemeinschaft ist, zum Beispiel bei den Ureinwohner Amazoniens (die ich bekanntlich persönlich kennengelernt habe), die Voraussetzungen für Sicherheit und die Befriedigung der körperlichen Grundbedürfnisse, auch dann wenn sie häufig hungrig zu Bett gehen müssen. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“

Übrigens hat dies auch Maslov am Ende seines Lebens entdeckt. Da hat er seine Pyramide nochmals geändert und an die Spitze das „Bedürfnis nach Transzendenz“ gesetzt (vorher stand da die „Selbstverwirklichung“!). Darauf gibt Christlicher Glaube eine Antwort! Dafür steht der Leib den wir heute verehren, den wir essen und der wir selbst als Gemeinschaft der Glaubenden in Wahrheit sind. Das neu zu entdecken, das liegt nicht an Regierungen oder Medien, das liegt an uns. Entdecken wir es heute neu! Amen!

Pfarrer Rolf Glaser