Neujahrspredigt 2021
von Pfr. Rolf Glaser

Das Anno horribile, das schreckliche Jahr 2020, liegt hinter uns. Heute Nacht haben wir, schlafend oder wachend das Jahr 2021 begrüßt. Was haben wir zu erwarten?

Ich denke, wir können zwar  nicht sorgenfrei, aber doch mit Zuversicht in das neue Jahr gehen! Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, hat das Jahr 2021 zu einem Jahr der Heilung ausgerufen.

Sicher auch deshalb, weil nun Impfstoffe entwickelt wurden, die die Menschheit dieser Pandemie nicht weiter in großer Hilflosigkeit gegenüberstehen lassen. So ist zu erwarten, dass zumindest die reichen Industrieländer in überschaubarer Zeit – mit einiger Geduld – zur Normalität zurückfinden.  Ob das auch für die armen Staaten dieser Welt gilt, wird davon abhängen, wie solidarisch die reichen Länder sein werden.

Es wäre aber sicher zu kurz gegriffen und auch nicht im Sinne des Generalsekretärs, wenn wir das Jahr der Heilung nur im Sinne der erfolgreichen Bekämpfung des Virus verstehen wollten. Papst Franziskus hat dazu sinngemäß gesagt: „wir werden aus dieser Krise nicht so herauskommen, wie wir hineingegangen sind. Wir werden entweder besser oder schlechter herauskommen.“

Wenn wir besser herauskommen wollen, dann ist es wichtig, die Lernerfahrungen zu sichern, die wir mit und in der Krise gemacht haben. Zu sagen: das Virus ist bekämpft und jetzt kann alles so weiter wie vorher, das wäre eine verpasste Chance. Dann stünden wir schlechter da als vorher!

Obwohl die Menschheit gerne dazu neigt so zu denken und so zu handeln, nach dem Motto: „zurück zur Tagesordnung“! „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer“, so hat es Berthold Brecht nach dem zweiten Weltkrieg gesagt. Leider auch damals viel zu wenig Lernerfahrungen! Heute haben wir die Chance es besser zu machen! Nutzen wir sie!

Lernen können und sollen wir nicht nur in Bezug auf die nächste Pandemie, deren Eintreten Virologen fürchten. Lernen können und sollen wir auch mit Blick auf andere Bereiche, die der Heilung bedürfen.

Ein Jahr der Heilung für unser Weltklima! Es ist wichtig, dass hier politische Weichen mit größerer Entschlossenheit gestellt werden. Ich hoffe, mit Präsident Jo Biden sind die Chancen dazu gestiegen.

Genauso wichtig aber ist es, dass wir alle mitmachen! Vielleicht hat uns ja die Krise gelehrt, dass es möglich ist, einen anderen Lebensstil zu pflegen, als wir dies vor der Krise getan haben. Entschleunigung des Lebens! Die innere Mitte neu entdecken! Abstriche am Anspruchsdenken! Achtsamkeit! Rücksichtnahme! Solidarität! All das konnten wir in der Krise lernen. Und das könnte ein wichtiger Baustein sein, für eine neue, eine andere Lebensqualität, die wir in Zukunft brauchen, wollen wir diesen Planeten erhalten. Ein Jahr der Heilung für unseren Planeten! Ein Jahr der Heilung für das Klima! Ein Jahr der Heilung für die Natur! Ein Jahr der Heilung für uns selbst!

Ein Jahr der Heilung für die Völker! Es ist noch nicht überschaubar, wie sehr die Pandemie gerade die armen Völker getroffen hat! Jedenfalls brauchen sie unsere Solidarität, weltweite Barmherzigkeit durch ein neues Wirtschaften, von der unser Papst spricht, auch wenn ihn die FAZ dafür schilt!

Heute ist der Welttag des Friedens! Heilung vom Krieg! 29 kriegerische Auseinandersetzung bzw. bewaffnete Konflikte gab es 2020: Armenien und Aserbeidschan, Äthiopien, Syrien, Afghanistan, usw. Die Bundesregierung hat im 1. Quartal 2020 Waffenexport von mehr als einer Milliarde € genehmigt! 53 % davon an Länder, die nicht der EU und nicht der Nato angehören!

Heilung für Menschen auf der Flucht! Die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch wie heute. Ende 2019 lag die Zahl der Menschen, die weltweit auf der Flucht waren, bei 79,5 Millionen – mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung. Im Vergleich zum Vorjahr sind fast 9 Millionen Menschen mehr auf der Flucht. Die meisten sind Binnenflüchtlinge, im eigenen Land. Und wir haben die unwürdigen Bilder aus Bosnien gesehen. Flüchtlinge schutzlos der Kälte ausgesetzt! Moria!

Verschweigen dürfen wir auch nicht die Heilungsprozesse, die in der Kirche bitter notwendig sind: der immer noch nicht bewältigte Missbrauchskandal, Finanzskandale im Vatikan, die ungelöste Frauenfrage: die Kirche verspielt und verliert Vertrauen!

Ja, die Liste notwendiger Heilungsprozesse ist lang! Das soll uns nicht entmutigen, nicht unsere Ohnmacht verstärken! Es soll uns vielmehr deutlich machen, wo überall Heilung nottut, wo Heilungsprozesse gestärkt werden müssen! Es gilt den Blick zu schärfen! Das Herz stark zu machen, die schlaffen Hände zu regen! Sagen wir nicht, da kann man nichts machen! Sagen wir, was wir denken! Stellen wir unsere Politiker zur Rede, erheben wir als Kirche unsere Stimme und als Menschen in der Kirche!

„Im Jahr des Heils“! so lautet eine alte Redewendung! Im Jahre des Heils 2021! Da geht es nicht nur um das Seelenheil, auf das konservative Christen gerne den Blickwinkel einengen! Ja, es geht auch um die Seele! Auch die Seele braucht Heilung! Aber die Seele in ihren vielfältigen Beziehungen, zur eigenen Leiblichkeit, zu anderen Menschen, zu der Welt, in der wir leben! Von diesem umfassenden Heil, von diesem Schalom, wie es auf Hebräisch heißt, spricht der aaronitische Segen, unsere heutige Lesung! „Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil!“ Damit meint die Bibel, Gesundheit, Frieden, Wohlergehen im umfassenden Sinne! Heil und Heilung! Heute, am Oktavtag von Weihnachten empfangen wir diesen Segen vom Kind in der Krippe und im Schoß seiner Mutter. Möge uns dieser Segen im Neuen Jahr begleiten, möge er unsere Hoffnung stärken und uns neu Mut machen, das Heil zu suchen und Heil zu bringen. Der Segen Gottes möge uns im Jahre des Heils 2021 begleiten. Amen