Friedensgebet für die Ukraine / Ein SOS aus der Ukraine!

Gebet für den Frieden in der Ukraine

19.02.2022

Pfarrer Rolf Glaser schrieb an den uns gut bekannten ukrainischen Bischof Bohdan:

Sehr geehrter, lieber Bischof Bohdan,

die Nachrichten aus der Ukraine erfüllen uns mit Sorge und Schmerz. Wir fühlen mit Ihnen und Ihren Landsleuten und Ihrem geplagten Land. Wir wissen uns mit den Freundinnen und Freunden verbunden, die uns in Frankfurt besucht haben bzw. denen wir in der Ukraine auf unserer Reise vor einigen Jahren begegnet sind. Wir haben heute auch in diesem Anliegen in der Eucharistiefeier gebetet und werden das auch morgen tun. Bitte wissen Sie uns an Ihrer Seite! Wenn wir irgendetwas tun können, lassen Sie es uns bitte wissen!

In mitbrüderlicher Verbundenheit

Ihr Rolf Glaser

Die Antwort von
Bischof Bohdan Dzyurakh CSsR
Apostolischer Exarch der in Deutschland und Skandinavien wohnenden katholischen Ukrainer des byzantinischen Ritus:

Lieber Pater Glaser!

Vielen und herzlichen Dank für Ihre Nähe, Ihre Solidarität und Ihre Gebete! Das ist wohl das Wichtigste, das wir alle in dieser ganz schwierigen Zeit brauchen, vor allem unsere Landsleute im Osten der Ukraine. Ich stehe im ständigen Kontakt mit meinen Freunden aus der Kriegsgebiet und sie bitten mich immer wieder ein herzliches Vergelt´s Gott sagen all denen in Deutschland, die an sie denken und für sie beten. Dies gibt ihnen Trost und stärkt in ihnen Hoffnung.

Wir beten auch hier in München. Gestern und heute gab es das Gebet für den Frieden in der Ukraine in der Bürgersaalkirche im Zentrum von München. Im Anhang schicke ich Ihnen meine Predigten, die ich zu diesen Anlässen gehalten habe.

Beim Abschied mit dem Messdiener haben wir uns gewünscht, dass das nächste Mal treffen wir uns wiederum in dieser Kirche, um Gott zu danken für die Gabe des Friedens in unserer Heimat und in ganz Europa.

Nochmals vielen und herzlichen Dank an Sie, lieber Pater Glaser, und an alle Schwestern und Brüder im Glauben aus Ihrer Pfarrei, aus Frankfurt!

Gott möge Sie alle reichlich segnen und mit Seiner Liebe weiterhin begleiten!

In Christus ergeben
Ihr Bischof Bohdan

München, den 18. Februar 2022. Sicherheitskonferenz.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Mit brennender Sorge wende ich mich an Sie im Angesicht von großem Unrecht und Gewalt, die meinem Volk in der Ukraine seit Jahren angetan werden und jetzt auf einer höheren Eskalationsstufe aufs Neue Millionen von Unschuldigen auf dem gesamten Kontinent bedrohen.

Gestern früh hat mich eine sms aus einem Dorf im Osten der Ukraine erreicht, das 6 Kilometer von der Pufferzone entfernt liegt. Seit 2016 stehe ich in ständigem Kontakt mit der lokalen Schule, die von ca. 50 Kindern und Jugendlichen besucht wird. Eine mir bekannte Lehrerin schrieb mir: „Exzellenz, bitte beten Sie für uns! Seit 5 Uhr morgens wurde unsere Gegend mit schweren Waffen beschossen. Wir sind in die Schule gekommen und es hat erneut begonnen. Die Kinder haben wir in die erste Etage gebracht, wo es keine Fenster gibt; eine Stunde lang sind wir dort geblieben, dann kamen die Eltern und haben die Kinder nach Hause geholt. Was weiter passieren wird, ist ungewiss. Wir glauben, dass es sich beruhigen wird, Gott wird uns retten! Danke!“

Der Krieg ist da. Er ist mitten in Europa. Er ist im Leben dieser Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nach einem besseren und würdigen Leben sehnen, stattdessen aber in Angst und ständiger Lebensgefahr leben müssen. Heute sind wir hierhergekommen, um diesen Menschen, unseren Landesleuten, die im Kriegsgebiet leben und sich in dem von Russland besetzten Teil der Ukraine (etwa 7% unseres Staatsgebiets) befinden, zur Seite zu stehen und ihnen unseren Beistand sowie unsere Solidarität zu zeigen. Wir beten für sie, damit der Gott des Friedens und der Liebe ihnen Seine Barmherzigkeit erweist, ihnen Seine Gnade schenkt und sie aus ihrer Bedrängnis befreit.

Wir beten auch für diejenigen, die direkt betroffen sind von diesem Krieg, der bereits länger dauert als der Zweite Weltkrieg. Die in diesem Krieg gefallenen Soldaten und Zivilisten – es sind inzwischen bereits über 14.000 – können wir leider nicht mehr zum Leben erwecken. Den über 30.000 Schwerverletzten und den mehr als 400.000 Menschen, die an posttraumatischen Störungen leiden, können wir ihre Gesundheit nicht mehr vollständig zurückgeben. Die meisten von ihnen werden lebenslang mit ihren Wunden und Traumata leben müssen. Auch können wir nicht den über 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen ein Zuhause geben, in dem sie Geborgenheit und Schutz finden können. Aber wir können und wollen ihr Leid, ihren Schmerz und auch ihre Hoffnungen vor Gott bringen und Gottes heilende Gnade auf sie alle herabrufen.

Wir wollen heute auch für diejenigen beten, die diesen Krieg verursacht haben und in ihren verdunkelten Seelen Pläne für neue Übeltaten schmieden. Gottes Gnade berührt die härtesten Herzen. Möge der Allmächtige die Herzen der Gewalttäter berühren und bekehren! So beten wir heute „für die Verfolger und Bedränger: Der Vater allen Lichtes und aller Erbarmung möge ihnen eine Damaskusstunde der Erkenntnis schenken, für sich und alle die vielen, die mit ihnen geirrt haben und irren“ (Pius XI, Mit brennender Sorge, 52).

Wir wollen aber auch für uns selbst beten, damit wir nicht durch unser Schweigen und unsere Gleichgültigkeit zu Komplizen des Verbrechens oder zu gleichgültigen Zeugen des Unrechts werden, sondern als echte Friedensstifter im Geiste Jesu wirken und nach unseren Möglichkeiten zum Frieden in der Ukraine und somit in ganz Europa beitragen. Während der Revolution der Würde im Winter 2014, als Hunderttausende Menschen für ihre Rechte, für die Wahrheit und Gerechtigkeit aufgestanden waren, konnte man an den Häusern der ukrainischen Hauptstadt oft den Satz lesen: „Gleichgültigkeit tötet“. Ja, sie tötet vor allem etwas ganz Menschliches in unseren eigenen Herzen: die Fähigkeit zum Mitleid, zum Mitgefühl und zur Solidarität mit den Betroffenen und Angegriffenen. Aber danach tötet sie auch ganz konkrete Menschen, die der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind und in ihren Prüfungen vergessen und verlassen sind.

Durch Ihr Kommen und Ihr Mitbeten hier an diesem heiligen Ort haben Sie heute Ihre Menschlichkeit und christliche Solidarität mit den Schwestern und Brüdern in der Ukraine zum Ausdruck gebracht. Aus der Ukraine erhalte ich nicht nur Bitten um mein Gebet, sondern auch die Bitte, Danke zu sagen all denen, die an die leidenden Menschen in der Ukraine denken und für sie beten. Dies mache ich auch gerne an dieser Stelle und sage Ihnen allen aus tiefster Seele „Vergelt´s Gott!“.

Maria, Königin des Friedens, gewähre uns allen Gottes Frieden, Heil und Segen!

+ Bohdan
Apostolischer Exarch

Ein SOS aus der Ukraine!

Predigt während des Gebetes für den Frieden in der Ukraine
München, Bürgersaalkirche, 19. Februar 2022

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn ein Schiff im offenen Meer in eine Notlage gerät, schicken die Seeleute ein Notsignal, bekannt als SOS, was heutzutage manchmal auch als Abkürzung für „save our souls“ – „rettet unsere Seelen!“ gedeutet wird. SOS schreiben Menschen, die in Gefahr geraten sind, in den Schnee oder in den Sand in der Hoffnung, dass die Besatzung eines Flugzeugs oder Hubschraubers dieses Zeichen sieht und Hilfe schickt. SOS steht auf den Notruftelefonen, damit die Menschen wissen, wo sie jederzeit anrufen können und mit einer Rettungsaktion rechnen dürfen. Bemerkt man ein solches Signal, darf man es nicht ignorieren, wenn man sich am nächsten Morgen im Spiegel noch in die Augen schauen will.

SOS wird seit fast 8 Jahren aus der Ukraine in die ganze Welt gesendet. Sehr oft aber vergeblich. Sehr oft wurde es nicht gehört oder nicht erhört. Die meisten unserer Zeitgenossen leben, als ob es keinen Krieg in Europa gäbe! Und doch wütet er bei uns bereits seit 8 Jahren. Der Schrei der Angegriffenen wurde erstickt – sowohl in den Medien als auch in den Gewissen vieler Menschen.

Und wenn die Politiker diesen Hilfeschrei doch gehört haben, haben sie ihn oft falsch gedeutet und dementsprechend ohne spürbares Ergebnis reagiert. Man denke nur daran, dass man fast 8 Jahre gebraucht hat, um den Krieg und dessen Urheber beim Namen zu nennen und konkrete Schritte zu wagen, um das Leiden und das Unrecht, das einem europäischen Volk angetan wird, aufzuhalten.

Für so viele unserer Landsleute kommen diese Maßnahmen leider zu spät. Über 14.000 Ukrainer sind inzwischen Opfer der russischen Aggression geworden und haben ihr Leben in diesem Krieg verloren. 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge mussten ihre Häuser verlassen und sich auf den Weg durch die ganze Ukraine machen. Viele von ihnen sind auch weiter nach Westeuropa gezogen. Etwa 400.000 leiden infolge der erlebten Schrecken und Grausamkeiten unter posttraumatischen Störungen. Über 30.000 sind schwer verletzt und werden den Rest ihres Lebens als Invaliden verbringen – junge Menschen, Söhne und Töchter, Familienväter und Familienmütter, die an die Front gegangen sind, um ihr Vaterland, ihre Familien und Nachbarn gegen die Gewalt und den Hass des Aggressors zu verteidigen.

Ich erinnere mich an Briefe, die Kinder aus einem kleinen Dorf im Osten der Ukraine, etwa 6 km von der Pufferzone entfernt, vor einigen Jahren an den Hl. Nikolaus geschrieben haben. Man kann diese Briefe kaum lesen, ohne dass einem die Tränen kommen: Hl. Nikolaus, ich bitte dich: Mach, dass meine Mutter/mein Vater zu Weihnachten von der Front nach Hause kommt! oder: Hl. Nikolaus, bitte schenke uns den Frieden, mach‘, dass dieser Krieg zu Ende geht… Einmal hat die Lehrerin die Kinder gefragt, wovon sie träumen. Die Antwort war erschütternd: „Frau Lehrerin, wir haben keine Träume mehr. Wie können wir von etwas träumen, wenn um uns herum Krieg ist?“ Es ist ein schreckliches Verbrechen, wenn man die Kinder ihrer Träume beraubt, wenn man den Erwachsenen ihre Hoffnungen auf ein besseres und würdigeres Leben nimmt und einem gesamten Volk seine Zukunft und selbst seine Existenz versagt.

Diese Kinder, ihre Eltern, Lehrerinnen und Verwandten müssen in den letzten Tagen erneut schreckliche Stunden durchleben, als sich die Eskalation zuspitzte und ihre Gegend mit schweren Waffen beschossen wurde. Heute sind sie hier in unserer Mitte anwesend – und zwar in dieser Fahne, die sie mir vor Kurzem geschenkt haben mit ihren auf die Herzen geschriebenen Namen.

Ihr SOS, ebenso wie der Hilfeschrei der Millionen Ukrainer, darf nicht im Nichts verhallen, sondern muss ein Echo in unseren Herzen finden und in den Herzen und Taten derjenigen, die in den Völkern Verantwortung tragen und das Notwendige tun können und sollen, um den Frieden in unserem Land und dadurch in ganz Europa wiederherzustellen.

Darauf hoffen wir, dafür beten wir heute!

Maria, Königin des Friedens und Mutter der Barmherzigkeit, erhöre das Flehen Deiner Kinder in Bedrängnis und die Gebete der hier versammelten Gemeinde! Gewähre uns allen Gottes Frieden, Heil und Segen!

+ Bohdan
Apostolischer Exarch