Dankschreiben von
Pfr. i. R. Hans Josef Wüst

Liebe Gratulantinnen und Gratulanten,
liebe Freunde und Bekannten
liebe Familienangehörige

eigentlich wollte ich alle brieflichen, mail- und telefonischen Glückwünsche einzeln beantworten. Aber was ich da vor mir sehe, lässt mich zu einem kleinen Rundbrief meine Zuflucht nehmen. Viele fragen, wie geht es Dir? Wie lebst Du jetzt nach Deinem Abschied von Griesheim und dem Gallus? Wie verbringst Du in der Corona Notlage deinen 85sten? Vielleicht gelingen mir einige Antworten.

Der Brief an sich ohne ihn näher anzusehen, ist schon ein ganz herzliches und frohes Danke für so viel Zuwendung, Segens- und Glückwünsche, eingeschlossen die Osterwünsche.

Karsamstag, der 11.4., nicht wie geplant in Ffm, sondern in unserem Häuschen am Dorfrand meines Heimatdorfes. Die Stille des frühen Morgens unterbrechen die ersten Anrufe. Circa 10 Uhr die erste Überraschung. Zwei junge Männer bringen einen schweren Behälter mit einem hochstämmigen Rosenstrauch mit dem Hinweis auf den angehefteten Brief. “Grüße aus Maria Hilf”. Da kann ich nur rätseln und ganz herzlich danken. Am frühen Nachmittag die kleine Kaffeerunde der 6 Brüder mit Schwägerinnen (natürlich mit dem gebotenen Abstand, Anm. d. Red.).

Gegen 17 Uhr taucht plötzlich der 7-jährige Johann auf, sein Keyboard unter dem Arm und beginnt es, keck um sich blickend, vor uns aufzubauen. Dann kommt die Begleitung, mein jüngster Bruder mit seiner riesigen Tuba, sein Sohn Christian mit einer Trompete  und der Vater von Johann, Neffe Michael, mit einem weiteren Blasinstrument, zum Schrecken einiger. (Die Familienangehörigen hatten sich bei ihrem Ständchen im Sicherheitsabstand auf der Wiese postiert. – Anm. d. Red.) In Piano eine anrührende musikalische Darbietung unseres Familienliedes: Möge die Straße uns zusammenführen… Johann begleitet mit seinen behänden Fingern auf seine Weise dieses Blaskonzert. Eine gelungene Überraschung. Am frühen Morgen hatte er mich schon überrascht mit einem Telefonkonzert: Freude schöner Götterfunken… Das kann er sehr gut spielen.

Am späten Abend nach dann noch ein kleines „Osterfeuer“ mit zwei Neffen, meinem jüngsten Bruder und den Nachbarn, einem seit Jahren wegen eines Schlaganfalls an den Rollstuhl gebundenen Mann und seinem Sohn mit seiner Freundin (die auf ihrem 500 m entfernten Grundstück blieben – Anm. d. Red.). ”Das Licht der wunderbaren Nacht”. Gott sei Dank waren die Feuerwehren kurz vorher schon ausgerückt, um einen Waldbrand in einem Nachbarort zu löschen. Sonst hätten sie uns als Opfer vielleicht ausgemacht.

Im Rückblick hatten die “Feierlichkeiten” schon begonnen mit einer Wochenendfahrt am 9./10.März nach Dachau mit 50 Teilnehmer*lnnen aus den Westerwaldgemeinden, von Pfarrer Albert Keller und mir organisiert. 8 Tage später wäre die Fahrt nicht mehr möglich gewesen. Vor 75 Jahren wurden in den Märztagen Pfarrer Emil Hurm, 30 Jahre lang Pfarrer in Hausen/Fussingen, nach 5 Jahren in der “Hölle von Dachau” – so der Münchener Weihbischof Neuhäusel, selbst über Jahre in Spezialhaft im sogenannten Bunker A – zusammen mit dem langjährigen Pfarrer von Dietkirchen, aus Ellar (Nachbarort von Hausen) stammend nach 6 Jahren aus den Nazihänden befreit… Ich durfte als 10-Jähriger bei der Rückkehr vom Pfarrer am Ortseingang ihm bei dem feierlichen Empfang ein Begrüßungsgedicht sagen, für mich ein unvergesslicher Eindruck.

In diesem Konzentrationslager gab es einen eigenen Priesterblock, zu Propaganda-zwecken, um zu zeigen, wie menschlich die Mörder sind. Zeitweise waren in diesem Block 2-3000 Priester, Bischöfe und ev. Geistliche zusammengepfercht. Bewegende Stunden im Lager am Samstagnachmittag mit sachkundigen Führungen und am Sonntagmorgen im gemeinsamen Gottesdienst in der Kirche der Karmelitinnen von der Ewigen Anbetung. Diese zahllosen, namenlos gemachten unbekannten Märtyrer der Nazizeit – unter ihnen einige Priester unserer Diözese – sind in Kirche und Öffentlichkeit kaum noch erwähnt. Mit Ausnahmen z.B. Seligsprechung Palotinerpater Henkes. Und wie notwendig wäre es heute.

In der Karwoche dann am 8. April der 75. Gedenktag der von Dietrich Bonhoeffer und letzten noch Überlebenden des Hitlerattentates kurz vor der Befreiung. Der Gründonnerstag ist geprägt vom Gedenken an Jesu Abschiedsgeschenk. Im Familienkreis eine Tischmesse in der großen Gartenwiese unseres Hauses, von der Straße aus kaum einzusehen.

Den Karfreitag habe ich dann in der erwachenden Natur, diesem großen Tempel Gottes verbracht mit Gedanken von Bonhoeffer zu den Kreuzwegstationen im Maria Laacher TE DEUM. Den Abschluss der drei Tage haben die meisten vor dem Fernseher mit der Papstmesse und dem Segen Urbi et Orbi mitgefeiert. Mir kam der Atem Gottes in seiner Schöpfung so belebend entgegen auf den weiten Wiesen, neubestellten Äckern und dem herrlichen Wald; und die große Stille, nur der ferne Autoverkehr und fast kein Flugzeug.

Eine weitere große Überraschung, eine Videonachricht in Bild und Text von Bischof Dom Edson aus der Diözese Sao Gabriel da Cachoeira, der letzten Diözese Brasiliens an den Grenzen zu Kolumbien und Venezuela. Ich habe dort 1991-92 ein Jahr und in den folgenden vier Jahren jeweils drei Monate in der Gemeinde Barcelos mitgearbeitet mit etwa 60 kleinen Flussrandgemeinden – Besuchspastoral, bis ein Seelsorger aus dem Süden Brasiliens die Gemeinde übernahm. Bei seinen Glückwünschen und Erzählungen von seiner Arbeit sah man das Auto, das vor fünf Jahren als ein Geschenk aus Euren Spenden zu meinem Goldenen Priesterjubiläum für ihn möglich machte. Glückwünsche, dann seine große Sorge in der Coronakrise. Sao Gabriel, die Bischofsstadt, Durchgang des Drogenhandels von Kolumbien nach Brasilien und alle Welt mit allen Begleiterscheinungen, und seit zwei Jahren kommen hunderttausende Flüchtlinge aus dem wirtschaftlich und politisch zerrütteten Venezuela über die weiten Flüsse, den Dschungel und der einzigen Landverbindung in den Nachbarstaat Roraima. Die Diözese mit der Fläche Italiens, allerdings nur einigen hunderttausenden Einwohnern, darunter noch 35 indio-indigene Völker, zum Teil noch mit wenig oder keinem Kontakt zur ”zivilisierten” Welt, hat nur ein prekäres Krankenhaus mit fünf Beatmungsgeräten.

Am Ostermontag am späten Nachmittag dann die nächste und letzte Überraschung, der Besuch von Freund Pfarrer Rolf Glaser (der den gebotenen Abstand hielt, Anm. d. Red.). Er überreichte mir ein Heft mit vielen Blättern voller Glückwünsche und mich sehr bewegenden Worten, besonders aus Nied-Griesheim, wohl aus Deiner Anregung, Verena (Nitzling, Gemeindereferentin in St. Markus) verwirklicht. Mit Hilfe von Pfarrer Glaser, dem Pfarrgemeinderat, den Mitarbeitern, dass sogar Freunde aus Brasilien, ehemalige Mitstreiter dort und in Maria Hilf zu Wort kommen. Ganz, ganz herzlichen Dank. Es braucht noch seine Zeit, um das alles zu verinnerlichen.

Dieses Jahr hätte ich nach meiner Pensionierung zum 15. Mal einen Palmsonntagsgottes-dienst Griesheim-Nied gefeiert, zum 15. Mal den Gründonnerstagsgottesdienst mit dem Projekt schwul und katholisch in Maria Hilf übernommen und zum 15. Mal eine Osternachtsfeier im Pastoralen Raum Maria Hilf,  St. Gallus, St. Pius geleitet, abwechselnd, dieses Jahr in Maria Hilf. Aber auch so waren es für mich sehr bewegende Tage.

Allen noch einmal ein ganz, ganz herzliches Danke mit der Bitte an den Vater, uns mit seinem Segen durch diese schwere Zeit zu stärken und zu beschützen. Bleibt behütet und gesund.

lhr/Euer Hans Josef Wüst

P.S.
Gerade habe ich diesen Briefentwurf gespeichert, 16.4. um 10.30 Uhr, da ruft mich der Postbote an die Tür und übergibt ein Päckchen als Buchsendung erkenntlich, ohne Absender. Auch beim Aufpacken kein Begleitschreiben. Als ich die letzte Plastikhülle entferne, die Überraschung. „Dass  Menschenhände so etwas schaffen können” – Ein Bildband mit ungewöhnlich, schönen Aufnahmen, gekonnt ausgewählt von den Gemeinde-Wallfahrten nach Assisi. Die Augen werden mir feucht  beim Durchblättern. Sicher Höhepunkt dieser Tage. Wer auch immer dahintersteckt, einen ganz großen Dank und trotz Kontaktverbot eine feste Umarmung. Jetzt verstehe ich Deine Ankündigung, Mathias (Lehnert). Mein Danke reicht nicht. Gott vergelt‘s. Er kann es.

(Mit Hilfe von OCR aus dem Brief erzeugt. Trotz intensiver Überarbeitung kann sich noch der ein oder andere Fehler eingeschlichen haben)