Unser Kirchentagebuch 28

Befreiung

 

Der heutige Tagebucheintrag ist von:
Gemeindereferent Ruben Manger (Foto)

 

Befreiung

Der 15. April ist ein Tag, der für mich und viele andere von großer Bedeutung ist. Vor allem weil Heute vor 75 Jahren das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit wurde. Anne Frank, die in Frankfurt geboren wurde, wurde  in diesem Lager ermordet. Ihr Tagebuch gibt uns einen Eindruck von der Grausamkeit, zu der Menschen in der Lage sind. (Wer es noch nicht gelesen hat, sollte das in der Zeit zuhause unbedingt nachholen.)

Es gibt aber noch ein zweites Ereignis, das zeitlich näher liegt und das viele von Ihnen vielleicht direkter im Bewusstsein haben. Bei mir zumindest ist das so. Als ich vor einem Jahr spät abends nach Hause kam und den Fernseher einschaltete, sah ich auf allen Sendern die Livebilder aus Paris. Was dort zu sehen war, schockte mich. Die brennende Kathedrale Notre-Dame in Paris.

Ich kenne und bewundere diese Kirche seit meiner Kindheit, nicht umsonst steht sie in einem Nachbau in meinem Büro. Auch wenn ich als Kind noch nicht mit der historischen und architektonischen Bedeutung von Notre-Dame vertraut war, beeindruckte mich an diesem Bauwerk die schlichte Größe, aber vor allem das Farbenspiel, wenn man im Inneren steht und die Sonne durch das große Rosettenfenster einstrahlt.

„Was war dort geschehen? War es ein Unfall? War es ein Anschlag?“, das waren nicht die Fragen, die ich mir und andere sich zuerst stellten. Da war zuerst einfach nur die Trauer.

10 Jahre zuvor, war ich das letzte Mal in Paris gewesen. Ich musste damals, auf dem Weg mit dem Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port (Pyrenäen) in Paris umsteigen und den Bahnhof wechseln. Das einzige Ziel in Paris war damals die Kathedrale Notre-Dame. Mehr als der Eiffelturm, der Louvre oder all die anderen sehenswerten Gebäude in Paris ist Notre-Dame für mich das „Muss“, wenn ich Paris besuche.

Inzwischen weiß ich zwar, dass auch andere Kirchen ein beeindruckendes Lichtspiel haben, aber ich glaube, es ist nicht nur das, was mich an Notre-Dame so fasziniert. All die Geschichte, die Menschen, die ich damit verbinde, die Bauleute, die zum großen Teil niemals das fertige Bauwerk gesehen haben, all die Menschen, die dort zu Gott gebetet haben in Trauer, Leid, Angst, die dort ihren Dank, ihr Lob und ihren Preis vor Gott gebracht haben und viele, viele mehr.

Dieses Gebäude stand nun in Flammen. Und es war nicht die Kunst, um die die Menschen in Trauer waren. Es war das Wahrzeichen der Stadt und des Landes, um das sie trauerten. Ein Ort, an dem das Land sich festmachte. Keine Revolution oder Krieg hat dieses Monument infrage gestellt. (Lese- bzw. Hörempfehlung: Notre Dame, eine kurze Geschichte über die Bedeutung von Kathedralen von Ken Follett. Im Deutschen leider nur als Hörbuch. Original auf französisch und englisch)

Am 26. August, zwei Tage nachdem die alliierten Panzer Paris zurückerobert hatten, ließ Charles de Gaulle in Notre-Dame – noch im Kugelhagel – einen Dankgottesdient feiern, in dem auch der Lobgesang Mariens, der Patronin der Kirche, erklang.

In diesem heißt es „Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“. (Gotteslob 631,4)

Auf dieses Erbarmen dürfen auch wir in dieser aktuellen Katstrophe vertrauen. Und wir können darauf hoffen, dass wir schneller wieder in unseren Alltag zurückkehren, das wir befreit werden von dem Schwert, das über uns allen schwebt, als Notre-Dame wieder in seiner vollen Pracht dastehen wird.

Ruben Manger

E-Mail: r.manger@mariaehimmelfahrt-ffm.de

Eine Bitte:
Nicht alle unsere Gemeindemitglieder haben die Möglichkeit, unser Tagebuch online zu verfolgen. Falls Sie jemanden kennen, der nicht im Internet ist: Drucken Sie den Text aus und bringen sie ihn (vielleicht bei einem Spaziergang?) vorbei.

Vielen Dank!

2 Gedanken zu „Unser Kirchentagebuch 28

  1. Zum Wiederaufbau von Notre Dame möchte ich auf eine sehr interessante
    Doku hinweisen, gesendet am Ostermontag im ARD um 19.15
    „Die Retter von Notre Dame“.
    Es ist erstaunlich, was Menschen heute schaffen können, jedoch weit erstaunlicher
    ist es, dass die Menschen vor Jahrhunderten solche Wunderwerke schaffen konnten
    ohne die technischen Geräte von heute.
    Welcher Antrieb steckte hinter solch ausdauerndem Schaffen?
    Gott braucht diese Prachtbauten nicht und dennoch führen
    sie sehr viele Menschen zu einer inneren Andacht, zum Staunen!

  2. Lieber Herr Pfarrer Glaser,
    liebe Seelsorgerinnen und Seelsorger,
    mit großer Aufmerksamkeit und Freude lese ich regelmäßig das Kirchentagebuch. Es gibt mir Stärke und Kraft in diesen unsicheren Tagen und Impulse für mein religiöses Leben. Viele Beiträge sprechen mir aus der Seele.
    Hatte bisher leider keine Zeit, sie zu kommentieren.
    Gottesdienste, Treffen in den Gruppierungen uvm., alles was bisher selbstverständlich war, vermissen wir und hat nun eine ganz andere Bedeutung.
    Über Ostern haben wir als Familie die Live-Streams aus dem Limburger Dom bzw. der Bischofskapelle gesehen.
    Liebe Frau Nitzling, auch mir kamen die Tränen bei dem Lied mit Bischof Bätzing „….ich bin da!“
    Aber es ersetzt nicht die feierlichen Gottesdienste in Gemeinschaft in der Heimatgemeinde und der Empfang der Hl. Kommunion fehlt.
    Wie schön und ergreifend war es, als ich am Montag die Videos von den Gottesdiensten hier in Maria Himmelfahrt nochmal gesehen und mitgefeiert habe. Dafür allen Beteiligten, die dies ermöglicht haben, meinen besonderen Dank. Insbesondere Dir, lieber Heinz-Jürgen!
    Es geht einem sehr nahe, das „Lumen Christi“ aus der leeren Heimatkirche zu hören und vertraute Gesichter zu sehen, ohne dabei sein zu können.
    Jedoch habe ich eine weibliche Vertreterin vermisst.
    Ich freue mich auf weitere Impulse im Rahmen des Kirchentagebuches und dass wir uns bald alle gesund wiedersehen.
    Maria Grimm

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